Der Bau des Hansa-Hochhauses in Köln
Wie kommt es eigentlich, daß dieses Bauwerk, mit 65 Metern das höchste Gebäude im Deutschen Reich vor 1945, ausgerechnet in der rheinischen Metropole errichtet wurde? Und das, obwohl Köln auch damals schon über Zurücksetzungen und Benachteiligungen in epischer Breite zu klagen pflegte?
Gewiss hat der ehrgeizige Oberbürgermeister Adenauer, der seiner Stadt eine rasante Aufholjagd verordnete, erheblich dazu beigetragen, indem er die Rahmenbedingungen für ein so kühnes Projekt schuf. Mehr noch war es die Bauverwaltung, die ganz im Sinne Adenauers bei der Genehmigung des Projekts eine heute geradezu unvorstellbare Schnelligkeit zeigte. Konkret gesagt war es das Zusammentreffen dreier ganz unterschiedlicher Umstände, die den Bau in Rekordzeit in die Höhe wachsen ließen: ein leeres, vernachlässigtes Grundstück am Hansaring, ein findiger Architekt und Unternehmer und in der Planungsphase ermutigende Konjunkturaussichten.
Das unansehnliche, aber geräumige Grundstück am Hansaring, alles andere als ein Filetstück, erschien nicht attraktiv zu sein, weil es an die gewaltigen Gleisanlagen der Bahn grenzte. Man wird vermuten dürfen, daß der Preis nicht allzu hoch war.
Dann gab es den Architekten Jacob Koerfer, der vor dem Weltkrieg einige Jahre im Dienste des städtischen Hochbauamtes tätig gewesen war, die Bauszene Kölns also von der Verwaltungsseite her kannte. Ihn reizte aber mehr die Selbständigkeit, und in der Folgezeit machte er sich einen Namen durch den Bau von Luxuswohnungen und Villen, nach 1919, in der Zeit schlimmster Wohnungsnot, war er aber auch im Kleinwohnungsbau tätig, bevor er ab 1921 den Bau von Bürohäusern in Angriff nahm. Seine Kapitaldecke war eher dünn. Er pflegte die Villen nach ihrer Fertigstellung zu verkaufen, um sich mit dem Erlös dem nächsten Projekt zuzuwenden. Er erwarb daher Grundstücke unter dem Aspekt, sie später einmal selbst bebauen zu können.
Für das Grundstück am Hansaring vereinbarte er mit der Stadt Köln eine Art Tauschgeschäft. Er überließ seine Grundstücke der Stadt, die deren Wert mit dem Preis für das Baugrundstück verrechnen sollte. Über die Zweckbestimmung und die Größe des Gebäudes herrschte anfangs noch keine Klarheit. Natürlich sollten Büros entstehen, aber auch ein Lichtspieltheater und Ausstellungsflächen, die gut zu den ehrgeizigen Messeplänen Adenauers passten .
Am 11. Januar 1924 unterbreitete Koerfer den Plan dem Stadterweiterungsamt und warb geschickt mit dem Argument, daß die Häßlichkeit des Platzes durch den Neubau, verziert durch eine „Haussteinfassade“, beseitigt werden würde. Er verbürgte sich für den schnellen Baubeginn des Gebäudes, das im Frühjahr 1925 bereits bezugsfertig sein und 350-450 Arbeiter beschäftigen sollte.
Eine Woche später – man höre und staune – stimmte die Verwaltungskonferenz dem Projekt zu und billigte auch die Absicht des Architekten, daß ein Teil des Gebäudes als Hochhaus zu errichten sei.
Mit der Perspektive des zu bauenden Hochhauses bekam das Projekt nun ein ganz anderes Gesicht. Damit wurden Tiefenschichten der kölschen Gefühlswelt angesprochen, nämlich die Eifersucht auf das durch die Nähe zum Ruhrgebiet unverdient begünstigte Düsseldorf. Denn dort gab es bereits ein Hochhaus, das Wilhelm-Marx-Haus, das mit seinem Namen den verdienten Oberbürgermeister der Vorkriegszeit ehrte. Was lag für den Kölner Städtebauausschuß näher, als einen Monat später das Düsseldorfer Bürohaus, ein reines Geschäftshaus, in dem auch die Börse ihren Sitz hatte, in Augenschein zu nehmen? Das wichtigste Ergebnis dieser Dienstfahrt lag in der Erkenntnis, daß das Koerfersche Hochhaus in Köln höher sein müßte, statt 57 m wie in Düsseldorf, müßten es mindestens 65 hoch sein und 14 Stockwerke haben. Der zuständige preußische Minister für Volkswohlfahrt, aus unerfindlichen Gründen für den Bau von Hochhäusern zuständig und obendrein ein rheinischer Zentrumsmann, gab umgehend seine Zustimmung. So schien dem Bau, der mit so großer Energie in Angriff genommen war, nichts mehr im Wege zu stehen.
1924 hatte Konrad Adenauer in einem sehr verbindlich gehaltenen Brief Jacob Koerfer gegenüber sein „besonderes Interesse“ an diesem Bau bekundet und die Hoffnung geäußert, „daß Ihr Wagemut Erfolg haben wird“. Das war keine leere Phrase, denn Adenauer zeigte zeitlebens Hochachtung vor schöpferischen Unternehmerpersönlichkeiten.
Als Adenauer sich so hoffnungsvoll äußerte, war noch nicht wirklich abzusehen, daß die Wirtschaftslage sich inzwischen radikal geändert hatte. Anfang April hatte der neue Reichsbankpräsident Schacht faktisch eine Kreditsperre über die deutsche Wirtschaft verhängt. Er wollte damit wirksam die wieder aufkeimenden Inflationstendenzen gegenüber der neuen, schwachen Rentenmark bekämpfen. Die rigorose Verknappung des Reichsbankkredits hatte aber durchschlagende Folgen, zumal die Inflation den Kapitalmarkt zerstört hatte.
Die veränderte Wirtschaftslage mußte auch für den Neubau am Hansaring Folgen haben. Dort waren die Arbeiten seit dem März 1924 in einem erstaunlichem Tempo vorangetrieben worden, denn Koerfer besaß die seltene Fähigkeit, die Bauausführung im einzelnen genau zu planen und dabei jeden Leerlauf zu vermeiden - er sparte damit Zeit und Geld. Bis Ende Juli war der Rohbau des Haupthauses unter Dach und der Turmbau sollte in einigen Wochen ebenfalls sein Dach haben.
Der Riesenbau wuchs vor den Augen der staunenden Kölner mit Macht in die Höhe, aber bei den Finanzen sah es trübe aus. Am 1. August sah sich Koerfer in einem Brief an Adenauer genötigt, die Notleine zu ziehen. Rückhaltslos legte er seine finanzielle Lage dar. Er hatte ursprünglich geplant, mit Mietvorauszahlungen den Bau größtenteils zu finanzieren, wie er es schon früher mit Erfolg getan hatte. Aber diesmal hatte sich nicht ein einziger Interessent gemeldet. Schuld war die Reaktion auf die tiefe, im Herbst 1923 in die Hyperinflation mündende Krise: „Eine solche entsetzliche Zeit des wirtschaftlichen Tiefstands“ habe er noch nie erlebt, klagte er. Nun stand der Rohbau fast ganz, und die Frage drängte, was zu tun sei, um die Vollendung sicher zu stellen. Das ging nicht ohne die Hilfe der Stadt. Der Architekt und Unternehmer schlug ein Paket zur Überwindung des Engpasses vor. Die Stadt sollte ihm seine Grundstücke nicht verrechnen, sondern abkaufen. Den Kaufpreis für das Baugrundstück am Hansaring bat er bis zur Fertigstellung des Baus „zinslos stehen zu lassen“. Danach war er durchaus bereit, für die ausstehende Summe Zinsen zu zahlen, die jedoch nicht in der derzeit geltenden mörderischen Höhe festgesetzt werden sollten. Den Kaufpreis für das Grundstück an den Bahngeleisen versprach er in vier Jahresraten zu tilgen. Außerdem beantragte er die Senkung und Stundung der außerordentlichen hohen Baupolizeigebühren von ca. 30.000 Mark, die er unmöglich zahlen könne.
Es ging also darum, angesichts der nicht vorhersehbaren Finanzkrise eine Senkung der Zinsen und die Stundung der Tilgung zu erreichen. Das waren angesichts des hohen Prestigewertes des Projektes keine unbilligen Forderungen. Koerfer verzichtete in seinem Schreiben auf dramatische Akzente. So fiel kein Wort über die Folgen, in erster Linie die unvermeidliche Düsseldorfer Häme, wenn bekannt wurde, daß das ehrgeizige Projekt in Köln gescheitert war.
Mit dem Dawes-Plan und den nun nach Deutschland strömenden Anleihen normalisierte sich das Wirtschaftsleben. Das Hansa-Hochhaus konnte ohne weitere Schwierigkeiten fertig gestellt werden. Es wurde ein Multifunktionsbau mit Büros im Hochhaus, Ausstellungsflächen im Haupthaus, mit einem eleganten Café-Restaurant und einem großen Kinosaal.
Von den Schwierigkeiten im Sommer 1924, als der Bau zu scheitern drohte, war nicht mehr die Rede. Aber die Entstehungsgeschichte, der schnelle Entschluß zum Bau, seine energische Inangriffnahme und das gemeinsame Bemühen von OB und Architekt, das Projekt nicht scheitern zu lassen, zeugen von Entschlußkraft, Leistungsfähigkeit und Mut, die zu allen Zeiten gefragt sind.